Baufinanzierung ohne Eigenkapital – Chancen & Risiken (Segment 2/5) Bonitätsprüfung und Scoring Die Bonitätsprüfung ist das Kernstück jeder Baufinanzierung ohne Eigenkapital. Sie ersetzt das fehlende Sicherungspolster durch eine präzise Einschätzung der persönlichen und wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Kreditnehmers. Banken arbeiten mit mehrstufigen Scoring-Modellen, die neben Einkommen und Vermögen auch Verhaltens- und Haushaltsdaten berücksichtigen. Struktur der Bonitätsprüfung Die Prüfung erfolgt in vier Schritten:

  • 1. Formale Prüfung: Vollständigkeit der Unterlagen, Identitätsnachweis, rechtliche Zulässigkeit.
  • 2. Quantitative Prüfung: Einkommen, Ausgaben, Verschuldungsgrad, Vermögenspositionen.
  • 3. Qualitative Prüfung: Beruf, Familienstand, Ausbildung, Arbeitsmarktsicherheit.
  • 4. Objektprüfung: Lage, Bausubstanz, Wiederverkaufswert, Energieeffizienz.
Haushaltsrechnung als Fundament Die Haushaltsrechnung ermittelt den verfügbaren Überschuss für die Kreditrate. Sie ist bei Vollfinanzierungen entscheidend, weil keine Eigenmittel zur Liquiditätsabsicherung existieren. Banken setzen pauschale Lebenshaltungskosten an, die regelmäßig unterschätzt werden. Beispielrechnung für ein Paar mit einem Kind (Stand 2025):
  • Nettoeinkommen: 5 000 € / Monat
  • Lebenshaltung: 1 200 €
  • Miete (entfällt nach Kauf): 0 €
  • Versicherungen, Mobilität, Freizeit: 900 €
  • Rücklagen / Notgroschen: 300 €
  • Verfügbar für Rate: 2 600 €
Die Bank kalkuliert konservativ mit 2 200 €. Bei 4 % Zins + 3 % Tilgung ergibt das rund 385 000 € Kreditvolumen – realistisch für eine 100 %-Finanzierung eines 380 000 € Objekts. Scoringmodelle der Banken Kreditinstitute kombinieren interne und externe Scores. Die Schufa liefert Basisdaten – Zahlungsverhalten, Kredithistorie, Anfragen. Interne Modelle gewichten:
  • Einkommensstabilität (30 %)
  • Schufa-Score (25 %)
  • Beruf / Branche (15 %)
  • Objektlage (20 %)
  • Haushaltsüberschuss (10 %)
Das Ergebnis ist die Ausfallwahrscheinlichkeit (Probability of Default). Liegt diese unter 1 %, gilt der Antrag als „prime“ – Vollfinanzierung möglich. Zwischen 1–3 % = Risikoaufschlag. Über 3 % = Ablehnung oder Teilfinanzierung. Dokumentationspflichten Die Immobiliardarlehensverordnung (ImmoDarlV) verpflichtet Banken zu vollständiger Dokumentation der Kreditwürdigkeitsprüfung. Kreditnehmer müssen Belege liefern, die das Einkommen über den gesamten Bindungszeitraum wahrscheinlich machen. Fehlen Unterlagen, darf kein Vertrag abgeschlossen werden (§ 505a BGB). Häufige Ablehnungsgründe
  • zu hoher Verschuldungsgrad (> 40 % Nettoeinkommen)
  • unstetes Einkommen (Befristung, Selbstständigkeit ohne Nachweis)
  • negative Schufa-Einträge
  • zu geringe Rücklagen
  • mangelhafte Objektqualität (Energieeffizienz > Klasse E)
Einkommensstruktur und Nachhaltigkeit Banken prüfen nicht nur Höhe, sondern Stabilität der Einnahmen. Entscheidend ist die Dauerhaftigkeit des Nettoeinkommens über mindestens zehn Jahre. Einkommen aus befristeten Projekten oder Provisionen wird nur teilweise berücksichtigt. Bewertung je Einkommensart
  • Angestellte: volles Einkommen, wenn unbefristet.
  • Beamte: höchster Bonitätsfaktor (Ausfallrisiko < 0,5 %).
  • Selbstständige: Durchschnitt aus drei Steuerjahren; Nachweis durch BWA & EÜR.
  • Freiberufler: Vergleichbare Stabilität – abhängig von Mandantenstruktur.
  • Kapitalanleger: Mieteinnahmen werden mit 60–80 % angesetzt.
Risikoprämien und Zinsspreads Der Zinsaufschlag für Vollfinanzierungen entsteht aus zwei Komponenten: Ausfallrisiko und Refinanzierungskosten. Je höher der Beleihungsauslauf (LTV), desto größer der Spread. 100 %-Finanzierungen liegen meist 0,5–1,2 Prozentpunkte über Standardkrediten (80 % LTV). Beispielhafte Zinsmatrix 2025
LTV Sollzins Effektivzins
80 % 3,6 % 3,7 %
90 % 3,9 % 4,0 %
100 % 4,3 % 4,4 %
110 % 4,7 % 4,8 %
Risikoanpassung durch Sicherheiten Fehlendes Eigenkapital kann teilweise durch zusätzliche Sicherheiten ausgeglichen werden:
  • Abtretung von Kapitallebensversicherung oder Bausparvertrag
  • Bürgschaft solventer Angehöriger (zweitrangig)
  • Nachrangige Grundschuld eines weiteren Objekts
  • Verpfändung von Wertpapierdepots
Diese Sicherheiten mindern das Ausfallrisiko und senken in der Regel den Zinsaufschlag um 0,1–0,3 Prozentpunkte. Qualitative Faktoren Neben Zahlen bewertet die Bank weiche Kriterien: berufliche Qualifikation, Lebensalter, Haushaltsdisziplin, Dauer der bisherigen Mietzahlungen. Regelmäßige Zahlung über mehrere Jahre gilt als indirekter Bonitätsnachweis und verbessert die Einschätzung, auch ohne Eigenkapital. Fallbeispiel – Antrag und Bewertung Ein 32-jähriger Angestellter beantragt 400 000 € Kredit, Einkommen 5 200 € netto, keine Schulden. Objektwert 400 000 €, Energieklasse B. Haushaltsüberschuss 2 400 €. Schufa 97 %. Ergebnis: PD = 0,9 % → Kredit genehmigt mit 4,2 % Zins, 15 Jahre Bindung. Praxis – Unterlagenstruktur Ein vollständiger Antrag umfasst:
  • Personalausweis / Meldebescheinigung
  • Gehaltsabrechnungen (3 Monate) + Steuerbescheid
  • Kontoauszüge (3 Monate, ungeschwärzt)
  • Objektunterlagen – Grundbuch, Exposé, Baujahr, Energieausweis
  • Finanzierungsplan mit Tilgungsrate
Verknüpfung zu weiterführenden Themen Detaillierte Analysen der Zinsstruktur und Refinanzierung finden sich im Artikel Anschlussfinanzierung. Förderprogramme sind unter KfW-Förderung beschrieben. Vergleichsrechner und Zinstabellen stehen im Abschnitt Zinsvergleich zur Verfügung. Ausblick Segment 2 → Segment 3 Der nächste Abschnitt behandelt Tilgungsmodelle, Zinsbindungsstrategien, Haushaltsplanung, Rücklagenmanagement und psychologische Faktoren der Kreditdisziplin. ]]>